Die alten Schwergewichte wie Larry Gagosian und David Zwirner wissen natürlich längst, dass es im Kunsthandel immer komplizierter wird. Trotzdem werden sie not amused sein über dieses Ranking, denn es ist stets auch eine Prophezeiung. In diesem Jahr überbringt es eine klare Botschaft: Die Alleinherrschaft der Galeristen über die Kunstwelt ist passé – und wird es bleiben. Dort, wo früher ihren Namen standen, auf der Liste der Mächtigen der Kunst, residiert nun eine kryptische Formel: »ERC-721«.
Die Formel führt eine Liste an, die jährlich mit Überspannung erwartet wird. Das Ranking »Art Power 100« des Magazins »ArtReview« gilt als »Forbes«-Liste der Kunst-Influencer. Wer dort landet, hat die Szene geprägt und wird sie auch in Zukunft mitbestimmen.
Früher waren das vor allem Galeristen, ultrareiche Sammlerinnen oder angesagte Kuratoren. Nur wenige Künstler schafften es unter die ersten zehn Plätze. Ihr Schaffen bildet zwar die Grundlage der Kunstwelt, doch mächtig sind nur jene, die ihre Werke handeln oder ausstellen. Die »Power 100« verdeutlicht jedes Jahr ein altes Dilemma: Ohne Vermarkter und Verkäufer haben Kunstschaffende kaum eine Chance.
Warum steht nun der Code ERC-721 auf dem ersten Platz? Es handelt sich um ein Zertifikat auf der Ethereum-Blockchain. Blockchains sind dezentrale Datenbanken, die alle Veränderungen sichtbar speichern. ERC-721 machte im vergangenen Jahr steile Karriere, weil damit so genannte Non Fungible Token (NFT) erstellt werden, also Datenbankeinträge, die Kunstwerke signieren und damit zu einem nicht kopierbaren Original machen können.
Explosion des Digitalen
Mit NFTs hat digitale Kunst, die lange Zeit per Copy-and-paste beliebig vervielfältigt werden konnte, eine enorme Aufwertung erfahren. Die Technik hat virtuelle Kunstwerke zu Einzelstücken gemacht, so rar wie handgefertigte Skulpturen, die gehandelt und gesammelt werden.
Collage des Grafikers Beeple: plötzlich eines der teuersten Werke der Welt
Foto: Beeple / Christie's / picture alliance / dpaPrompt entstand daraus ein Riesengeschäft. Nie zuvor wurde so viel Geld für digitale Kunst oder Sammelobjekte ausgegeben wie im Jahr 2021. Auktionsplattformen meldeten immer neue Höchstpreise für pixelige Grafiken, Tweets oder Videoclips von Basketballern, aber auch für digitale Kunst. Eine neue vermögende Klientel überschlägt sich derzeit, künstliche Kunst in künstlichen Welten zu kaufen.
Spektakulärer Höhepunkt war die Versteigerung der Collage »Everydays: The First 5000 Days« des Grafikdesigners Beeple im Auktionshaus Christie’s für sagenhafte 69 Millionen Dollar. Käufer der 69-Millionen-Grafik ist ein Krypto-Impresario, der sich den Namen Metakovan gibt. Dahinter steckt der Unternehmer Vignesh Sundaresan, der in Singapur den NFT-Fonds Metapurse betreibt. Metakovan rangiert durch seinen Kauf nun auf Platz 42 der »Power 100«, als ähnlich einflussreich gelten Künstler Ai Weiwei (Platz 39), Kurator Hans Ulrich Obrist (40) und Sammlerin Julia Stoschek (43).
Auch wenn es jetzt um Bitcoin, Ethereum und NFTs geht: Nach wie vor gibt eine superreiche Elite in der Welt der Kunst den Ton an. Zwar wird gern betont, dass mit NFTs jeder Kreative seine digitalen Werke selbst auf entsprechenden Marktplätzen verkaufen könne und somit nicht mehr von Galeristen abhängig sei. Doch das ist leider nur ein emanzipatorischer Nebeneffekt davon, dass zur Zeit Unternehmer in der unregulierten Krypto-Branche ganze Geschäftsfelder für sich besetzen. Sie werden in Zukunft das Sagen haben.
Galerien Flop, Documenta Top
Ähnlich geschäftstüchtig war Mark Zuckerberg, als er im Jahr 2004 Facebook gründete, heute gehören zu seinem Imperium unter anderem Instagram, Whatsapp und Oculus. Und Zuckerberg arbeitet weiter an seinen digitalen Visionen. Im Oktober stellte er seine virtuelle Welt Metaverse vor – allein deshalb gehört Zuckerberg ebenfalls zu den »Power 100«. Zwar bildet er mit Platz 100 die Fußnote des Rankings. Doch es zeigt, dass ultrareiche Tech-Visionäre viele Lebensbereiche durchdringen, auch die Kunst.
Unternehmer Zuckerberg: Blick auf die Zukunft
Foto: Meta / picture alliance / dpaMit der langsam bröckelnden Macht von Händlern wie David Zwirner (Platz 23), Larry Gagosian (25) sowie Iwan und Manuela Wirth (26) scheint die Liste aber auch zu zeigen, dass Künstler und Denker in ihrem Einfluss stärker werden. Zu den Top 5 gehören neben ERC-721 eine Anthropologin, ein Kuratoren-Kollektiv und zwei Künstler:
Platz 2 belegt die US-Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing, von der sich viele Künstler und Ausstellungsmacher inspiriert fühlen. Im Vorjahr stand bereits ihr Großprojekt »Feral Atlas« auf Platz 15. Tsing untersucht das Zeitalter des Anthropozän, indem sie mit Wissenschaftlern, Künstlern und Anthropologen Daten zu ökologischen Katastrophen sammelt.
Auf Platz 3 ist das indonesische Kollektiv Ruangrupa, das im kommenden Jahr die Documenta in Kassel leitet, die weltweit bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Dabei will Ruangrupa einiges anders machen. Praktiken wie Teilhabe, Teamwork, Mitspracherecht und Nachhaltigkeit sollen im Vordergrund stehen, die bisher veröffentlichte Teilnehmerliste ist marktfern wie noch nie.
Performance-Star Anne Imhof gilt als einflussreichste Künstlerin
Foto: Berzane Nasser / ABACA / picture allianceAuf Platz 4 wird mit Theaster Gates der erste Kunstschaffende genannt. Der schwarze US-Amerikaner wurde vom Stadtplaner zum Konzeptkünstler und drückt mit Skulptur und Architektur, Installation und Performance die Spaltung Amerikas und strukturellen Rassismus aus, oft geht es um urbane Erneuerung und das Hinterfragen von Herrschaftsverhältnissen.
Mit Platz 5 gilt nun der deutsche Performance-Star Anne Imhof als weltweit einflussreichste Künstlerin auf der »Power 100«. Sie bespielte jüngst das Pariser Palais de Tokyo mit ihrem radikalen, vierstündigen Werk »Natures Mortes«, in dem sie Elemente von Gruppenausstellung, Performance und Konzert zusammenbrachte.
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