Schon die russischen Gouvernanten wissen es erwartungsfroh: „Da kommen unsere Krieger, unsere kleinen Soldaten! Wie ordentlich! Tretet beiseite!“ Und dann ist im St. Petersburger Sommergarten plötzlich russischer Angriffskrieg – aber zum Glück nur gespielt. Doch die Jungs singen, anders als im viel harmloseren Kinderchor-Vorbild „Carmen“, ziemlich aggressiv: „Wir sind hier alle versammelt, den russischen Feinden zur Abschreckung. Böser Gegner, hüte dich, mach dich davon mit deinen üblen Absichten. Oder unterwirf dich. Hurra! Das Vaterland zu schützen ist unser Los. Wie stehen bereit, zu kämpfen und die Feinde ohne Zögern gefangenzunehmen.“
Normalerweise zieht das so vorüber, Oper eben. Der Beginn von Peter Tschaikowskys „Pique Dame“, nach der berühmten Puschkin-Erzählung, er ist ein fern aus dem frühen 19. Jahrhundert herüberscheinendes Genrebild. Erzählt wird von dem mittellosen deutschen Soldaten Hermann, den seine Spielsucht zu einer alten Gräfin treibt, die geistig noch tief in ihrer Jugendzeit im Rokoko lebt, die aber ein Kartengeheimnis kennt, das immer siegen lässt. Am Ende sind Hermann, der natürlich verliert, und die Gräfin tot; auch Lisa, ihre Nichte, die er nur benutzt hat, um an die Alte heranzukommen.
Während in der Ukraine russische Truppen stehen und die Invasion ein paar Stunden später losgeht, feiert „Pique Dame“ an der Mailänder Scala Premiere. Mit diesem Kinderchor, unwidersprochen. Gut, eine solche Premierenkoinzidenz war vor mehreren Wochen Probenbeginn noch nicht zu ahnen. Die zahn- wie zeitlose Inszenierung zwischen Neonröhren, Spiegeln, Nebel und ein paar Lüstern besorgte der als Burgtheaterdirektor geschasste Matthias Hartmann, der inzwischen als Opernexilant in Italien arbeitet. Auf der Bühne stehen, angeführt von dem litauischen Sopranstar Asmik Girgorian als Lisa, nur Osteuropäer, Russen zumeist, der starke Tenor Najmiddin Mavlyanov kommt sogar aus Samarkand.
Im Graben aber waltet Valery Gergiev, der höchst linientreue, nordossetische Putin-Freund wie Werbe-Lobbyist, Petersburger Mariinsky-Theaterdirektor und Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Keiner in der Klassikwelt hat mehr wahre Macht, selbst Daniel Barenboim nicht. Der aber spricht sich gegen Israel und für die Rechte der Palästinenser aus, Gergiev hingegen steht mit anderen gut verdienenden Klassikrussen, allen voran Anna Netrebko (die mit österreichischem Pass sorgenfrei reist), dem Pianisten Denis Matsuev, dem ergrauten Bratscher Valdimir Spivakov und dem Geiger Vadim Repin felsenfest Putin zur Seite. Bis jetzt.
Immer wieder massive Kritik
Da er sich zugleich früher homophob geäußert hat, ist Gergiev, der teuerste städtische Angestellte Münchens, immer wieder massiver Kritik ausgesetzt gewesen. Bis jetzt konnte das zähneknirschend von den Philharmonikern ausgesessen und niedergeschlagen werden. Doch nun droht Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in einem veröffentlichten Schreiben: „Gemeinsam mit den Orchestervertretern der Münchner Philharmoniker erwarte ich von Ihnen als Chefdirigent des Orchesters jetzt ein deutliches Zeichen der Distanzierung von den völkerrechtswidrigen Angriffen gegen die Ukraine, und damit ein klares Signal an die Stadtspitze, die Öffentlichkeit, die Musikerinnen und Musiker der Münchner Philharmoniker und ihr Publikum bis Montag, 28. Februar. Anderenfalls werden wir das Vertragsverhältnis als Chefdirigent beenden müssen.“ München ist übrigens die Partnerstadt von Kiew.
Soll es jetzt also, parallel zu wirtschaftlichen Sanktionen, auch kulturelle Sanktionen gegen den Aggressor Russland geben? Werden seine Kulturbotschafter in Mitleidenschaft gezogen werden? Etwa auch der deutsche Impresario Hans-Joachim Frey, der als ein kleiner Gerhard Schröder in Sotschi ein Kulturzentrum leitet, einst dem Dresdner Ex-Geheimdienstchef Putin einen Faschingsorden zukommen ließ und nach wie vor – von der Semperoper unbeanstandet – den von ihm kommerziell als geschützter Titel gehaltenen „Dresdner Opernball“ nach Russland und aktuell nach Dubai importiert? Natürlich immer unter dem Motto „Kultur baut Brücken“, vor allem aber lässt das dubiose Tanztreiben Rubel und Petrodollars in Freys Tasche rollen.
In Italien, wo Gergiev, seiner eigenen, hektischen Legende mehr als gerecht werdend, keine einzige Opernprobe geleitet hat (bei der mit ihm angesetzten Generalprobe hatte er Covid), aber nun trotzdem eine musikalisch klangsatte, stimmungsdichte Premiere erstklassig hinlegte, gab es bei seinem Erscheinen im Graben ein paar schüchterne Buhs, das war es dann schon. Die Zeiten, als jede Verdi-Oper ein patriotisches Manifest wurde, sind in deren Geburtsland schon lange vorüber. Heute soll es auf den Bühnen möglichst wirklichkeitsfremd zugehen. Hier liebt man halt die bella figura. Ob man etwa den Kinderchor in der „Pique Dame“ belassen wird, konnte die Scala gegenüber WELT noch nicht beantworten.
Sie hat freilich noch etwas Zeit. Denn die nächste Vorstellung ist sowieso erst am 5. März angesetzt. Vorher wollte Valery Gergiev, der dauerfliegende Maniac, der seinem absoluten Herrscher auch 2016 mit einem „Friedenskonzert“ im von den IS zurückeroberten antiken Theater im syrischen Palmyra zu Diensten war (das dann später von den Rebellen zerstört wurde), freilich seine aktuelle Tournee mit den Wiener Philharmonikern und Denis Matsuev fortsetzen – ausgerechnet in den USA. Ab dem 25. Februar waren drei Konzerte in der New Yorker Carnegie Hall und zwei in Naples, Florida geplant.
Und was sagten die besonders feigen, immer gern an den eigenen Geldbeutel denkenden Wiener dazu? Auf Nachfragen von WELT ließ sich der Vorstand des Orchesters, Daniel Froschauer, vernehmen wie folgt: „Mit Maestro Gergiev verbindet die Wiener Philharmoniker eine jahrzehntelange künstlerische Partnerschaft. Die steht absolut im Vordergrund. Die Kultur darf nicht zum Spielball von politischen Auseinandersetzungen werden. Daher werden wir auch keine Kommentare zu politischen Themen in Bezug auf unsere Dirigenten oder Solisten abgeben. Die Musik hat für uns immer etwas Verbindendes und nichts Trennendes. Wir verurteilen jede Art von Gewalt und Krieg“.
Andere sind da entschlossener. Am späten Donnerstagabend ließ die Carnegie Hall ohne Angabe von Gründen mitteilen, dass Gergiev und Matsuev in New York nicht auftreten werden. Statt ihrer steht Yannick Nézet-Séguin am Pult, der vielbeschäftigte Musikchef der New Yorker Metropolitan Opera wie des Philadelphia Orchestra. Eine Niederlage für Gergiev, aber auch für Österreichs zögerliche Elitemusiker.
Und wie werden sich die Münchner Philharmoniker verhalten, wo Valery Gergiev ab dem 17. März neuerlich mit Bruckners 8. Sinfonie am Pult erwartet wird? Wo er ebenfalls zu spät zu Proben kommt, nicht einmal für den Intendanten ansprechbar ist und, wie überall, sein eigenes Ding dreht? Auch das Festspielhaus Baden-Baden, wo er im Dezember einer neu konzipierten saison russe mit dem kompletten Mariinsky Theater, Ballett und Orchester inklusive, vorstehen soll, ist aktuell betroffen.
Der Krieg Russlands gegen die EU hat eben begonnen, auch in der Kultur. Obwohl in Mailand nach der „Pique Dame“ der Jubel groß und rückhaltlos war. Aber Gergiev sollte sich nicht zu früh freuen. Der Bürgermeister von Mailand sowie der Scala-Intendant Meyer haben ihn jetzt in einem Brief aufgefordert, den Krieg zu verurteilen, sonst darf er hier nicht wieder Tschaikowskis Oper dirigieren.
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