
Für einen Moment durchbricht sie am Freitag den Glamour auf dem roten Teppich in Cannes: Eine unbekannte pro-ukrainische Aktivistin hat sich blau-gelb bemalt zwischen die Filmstars gemischt und schreit kaum hörbar die Worte "Hört auf, uns zu vergewaltigen". Auch am Samstagabend steht das Filmfestival im Zeichen des Krieges. Der ukrainische Regisseur Dmytro Sukholytkyy-Sobchuk zeigt seinen Debütfilm »Pamfir«: eine in den Wäldern der Westukraine gedrehte Geschichte über die Rückkehr eines Vaters zu seiner Familie, die auch vom unbesiegbaren ukrainischen Volk erzählt.
Der ukrainische Regisseur kritisierte das Festival dafür, den russischen Regisseur Kirill Serebrennikow in den Wettbewerb eingeladen zu haben.
Dmytro Sukholytkyy-Sobchuk, ukrainischer Regisseur: »Es sollte normal sein, dass alle Kulturinstitutionen jede russische Teilnahme absagen. Und es spielt keine Rolle, ob er ein Flüchtling, ein Oppositioneller oder ein Dissident ist. Hier ist er Teil der russischen Propaganda, und sie können ihn als ihren Bürger benutzen.«
Der Russe Serebrennikow hatte sich in Cannes klar gegen den Krieg in der Ukraine positioniert und gleichzeitig gegen einen pauschalen Boykott russischer Kultur ausgesprochen.
Kirill Serebrennikow, russischer Regisseur: »Der Boykott der russischen Kultur ist unerträglich. Die russische Kultur hat sich immer für menschliche Werte eingesetzt, für die Zerbrechlichkeit des Menschen, für das Mitgefühl mit den Seelen, mit den sozial Schwachen. Die russische Kultur war immer antimilitärisch, antikriegerisch, weil der Krieg die von mir aufgezählten Werte zerstören will. Diejenigen, die Kriege erklären, werfen die Menschen in die Schützengräben und interessieren sich nicht für ihr Leben, ihren Schmerz. Das Wort Kultur und das Wort Krieg sind völlig gegensätzlich.«
Tage zuvor hatte Kirill Serebrennikow seinen Film »Tschaikowskis Frau« vorgestellt. Er erzählt von der unglücklichen Ehe des berühmten homosexuellen Komponisten.
Das Festival verteidigte die Einladung Serebrennikows. Man habe russische Künstler mit Verbindungen zur Regierung und offizielle Delegationen aus Russland ausgeladen. Zudem hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der Eröffnungszeremonie eine Rede per Videoschalte gehalten. Auch wurden zwei ukrainische Dokumentarfilme gezeigt und der Eröffnungsfilm von »Z« in »Coupez!« umbenannt, um jede Verwechslung mit dem russischen Kriegssymbol zu vermeiden. Am 28. Mai wird in Cannes die goldene Palme verliehen, und auch Serebrennikows »Tschaikowskis Frau« ist ein Anwärter auf die wohl wichtigste Auszeichnung für internationale Filmkunst.
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